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2389 Ablösung der Todesstrafe durch Biostasis-Einlagerung. ![]() Verurteilte Straftäter werden in ein künstliches Koma versetzt und in der Schwerelosigkeit gelagert. Ihr Metabolismus wird heruntergefahren und durch Nanosonden überwacht. Die so eingelagerten Körper verbrauchen nur geringe Ressourcen. Damit belasten sie die stationseigene Lebenserhaltung weniger als in klassischen Gefängnissen. Viele Raumstationen hatten für Kapitalverbrechen lang an der Todesstrafe festgehalten, da in künstlichen Umgebungen keine Mittel für den Betrieb von Gefängnissen zur Verfügung stehen. Normalerweise muss jede Person, die die Lebenserhaltung belastet, ihren Anteil selbst bezahlen, entweder finanziell oder indem sie einen wichtigen Beitrag zum Stationsbetrieb leistet. Langjährige unproduktive Haftstrafen bedeuten, dass die Gemeinschaft die hohen Kosten tragen muss. Deshalb gibt es vor allem hohe Geldstrafen, die so bemessen sind, dass sie sehr lang abgearbeitet werden müssen. Geldstrafen werden oft verbunden mit Bewegungs- und Kommunikationseinschränkungen. In schweren Fällen, wo Sicherungsverwahrung notwendig ist, kommt Gefängnis nur dann in Frage, wenn der Verurteile mit seinem Vermögen für die weitere Lebenserhaltung aufkommen kann. Andernfalls bleibt nur die Verbannung auf eine sogenannte Asylstation wo oft anarchistische Zustände herrschen und die Lebenserwartung nicht sehr hoch ist – oder die Luftschleuse. Der Begriff Biostasis ist eigentlich falsch. Die Körper altern schneller als im realen Leben. Der Metabolismus ist zwar verlangsamt, aber gleichzeitig sind die körpereigenen Reparaturfunktionen auch reduziert. Bei langjährigen Einlagerungen bauen Muskeln und Knochen stark ab. Stoffwechselprodukte sammeln sich in Organen. Gelenke werden durch Ablagerungen eingeschränkt und auch im Gehirn sterben Zellen an mangelnder Aktivität und wegen chemischen Ungleichgewichten. Die Eingelagerten verlieren die Zeit der Strafe, ohne sie zu durchleben. Es gibt Techniken zur verlustfreien Einlagerung (die sogenannte "konservierende Biostasis"). Sie werden aber für verurteilte Straftäter nicht angeboten, da das nur einen zeitlichen Ausfall ohne Verlust von Lebenszeit bedeuten würde. Damit wird man praktisch in die Zukunft geschickt, ohne zu altern. Das wäre für manche eine attraktive Option. Aus dem gleichen Grund ist eine passive digitale Speicherung nach Upload mit späterer Reaktivierung als Mech nicht vorgesehen. Die Biostasis-Einlagerung ist humaner und gerechter als die Alternativen, wenn ein Gericht entscheidet, dass ein verurteilter Straftäter von der Gesellschaft getrennt werden muss. Sie ersetzt die Todesstrafe, die im Zeitalter von langen biologischen Leben und digitalen Backups als inhuman, aber doch als ökonomisch notwendig betrachtet wurde. Sie ersetzt auch die Verbannung, die oft einem Todesurteil gleichkam, da es Neuankömmlingen auf Asylstationen sehr schlecht erging. Mit Biostasis-Strafen erhalten alle Bevölkerungsgruppen, ob reich oder arm, die gleiche Behandlung. Vorher konnte man mit einem großen Vermögen die Todesstrafe abwenden, wenn man die Lebenserhaltung während der Haft bezahlen konnte. Nun werden alle eingelagert bis die Strafe abgebüßt ist. |
2390 Pontos Mission: Forschungsexpedition zum neunten Planeten. ![]() --- private Nachricht --- Calixtos Kamikatsu an Bord der Gahara Sthaan IX auf dem Rückflug von Pontos, Planet 9, 2390: Hallo meine Liebe, jetzt sind es nur noch 1000 astronomische Einheiten bis nach Hause. Ein knappes Jahr. Pontos war der Wahnsinn. Wir sind alle noch ganz geflasht. Optisch war nicht viel los. Tausend AU von der Sonne entfernt muss man schon sehr genau hinsehen, um etwas zu erkennen. Aber im Infrarot haben wir alles in voller Schönheit gesehen. Drinnen im Sonnensystem gibt es die Gasriesen mit dicken Atmosphären, Wolkenbändern und Stürmen. Hier draußen, so weit von der Sonne entfernt, ist nur Eis. Die ganze Atmosphäre ist gefroren. Pontos ist ein Eisriese. Aber Pontos ist nicht einfach ein Eisklumpen. Es gibt Gebirge, Schluchten und Geröllfelder, sogar Sandwüsten mit Dünen aus feinen Eiskörnchen, wie Diamantstaub. Alles ist aus Eis, verschiedenes Eis. Wassereis ist bei diesen Temperaturen steinhart. Wassereis spielt hier die Rolle von Stein und Felsen. Es gibt Eis-Vulkane aus denen in der Vergangenheit ein Wasser-Ammoniak-Gemisch als Lava emporgeschleudert wurde. Pontos hatte offensichtlich auch einmal Plattentektonik, die gewaltige Eisgebirge aufgeschoben hat. In den aktiven Phasen von Pontos gab es sogar Wetter, gewaltiges Wetter. Ammoniak-Regen hat tiefe Canyons aus den Wassereis-Gebirgen ausgewaschen. Der Grand-Canyon kann sich darin verstecken. Das Valles Marineris auf dem Mars auch. Und nicht zu vergessen: das Theia-Becken. Ein Krater größer als die Erde. Vor Urzeiten muss da ein marsgroßes Objekt reingekracht sein. Das war ein kataklysmisches Ereignis. Es hat den ganzen Planeten zum Schmelzen gebracht. Danach war der Planet Millionen Jahre lang aktiv, mit Vulkanismus, Plattentektonik, Wetter, Regen, Flüssen und Meeren. Das war die Zeit, in der all das entstanden ist, was wir heute sehen. Von den Gebirgsketten und den Vulkanen bis zu den Wassereis-Sandkörnern an den Stränden der Ammoniak-Meere. Und dann natürlich die Skulpturen. Wo Eis aus dem Boden austritt, friert es in allen möglichen Formen, mal in weichen Formen wie ein erstarrter Wasserfall, mal mit messerscharfen Kanten, Zinnen und Ecken. Es gibt geometrische Kegel, die innen einen Wasserkanal haben, naja, hatten, und darum herum immer weitergewachsen sind. Es gibt schlanke Säulen, ganze Felder von Eissäulen, wie von den alten Griechen hingestellt. Und Figuren und Skulpturen, unendlich viele Formen. Manche sind weiß wie Schnee durch feine Luftbläschen. Viele sind durchsichtig, die einen glasklar, andere mit regelmäßigen Mustern. Es gibt die Spires, hunderte Meter hohe Säulen wie aus Glas und kristallblaue Eisvorhänge, aufgespannt zwischen anderen Skulpturen. All das ist jetzt erstarrt. Wie plötzlich eingefroren, mitten in der Bewegung. Und wunderschön. Ich mache mich jetzt wieder an die Auswertung. Bis bald. ENDE. --- --- private Nachricht --- Calixtos Kamikatsu an Bord der Gahara Sthaan IX, 999 AU von Sol, drei Monate nach der Havarie: Hi Schätzchen, schlechte Nachrichten. Anne bekommt den Antrieb nicht zum Laufen. Sie sagt, wir hatten ziemliches Glück. Wir wussten alle, dass die Sache riskant ist. Aber die Materiedichte hier draußen ist so gering, dass man nicht wirklich damit rechnet was zu treffen. Naja, getroffen haben wir ja auch nicht; eher es uns. Muss ein ordentlicher Asteroid gewesen sein. Bei voller Fahrt reichen schon zwei Millionen Kilometer "Nähe", damit sein Gravitationsfeld unseren Antrieb beschädigt, wenn er unter Last läuft. Anne sagt, ich zitiere: "auf ganzen 0,2 Tau ist die Fraktalität der Konverter unter 4,8 im Median, soweit SuSI das messen kann". SuSI ist unsere Engineering-KI (eigentlich Superluminal System Inspector). Techie-Kauderwelsch. Ich habe Anne gefragt, was das heißt: Die Konverterpole sind Fraktale. Sie müssen möglichst fein sein, bis runter auf Nanometer. Ideal wäre ein Wert von 3,0 als fraktale Dimension. Aber das ist nur theoretisch. Man versucht, so nahe wie möglich daranzukommen, also 3 minus ein kleines bisschen, z.B. zehn hoch minus 4,8 bei uns. Ist die Zahl kleiner, dann ist der Abstand zur 3 größer und der Lévy-Effekt bricht zusammen. Da war noch mehr. Was mit virtuellen Teilchen, negativer Energie, Quantenverletzung und so. Jedenfalls, als wir an dem Asteroiden vorbei sind, haben sich diese superfeinen Verästelungen verzogen. Sie klumpen zusammen. Mit anderen Worten: die Konverterpole sind Matsch. Das können wir hier nicht fixen. Wir haben zwar Fabs für alles, was wir als Mechs so brauchen, aber an den Konvertern haben die Bush-Robots von Majumdar Abhiyaantrikk angeblich zwei Jahre rum-assembliert. Ich melde mich wieder, wenn ich mehr weiß. ENDE. --- --- private Nachricht --- Calixtos Kamikatsu an Bord der Gahara Sthaan IX, 999 AU von Sol, 2390, vier Monate nach der Havarie: Hallo ihr drei, die meisten Daten sind jetzt ausgewertet. Der Antrieb geht immer noch nicht. Anscheinend gibt es keine Kapazitäten für eine Rettungsmission. Verständlich, dieser Flug war teuer genug. Und für eine Info-Evakuierung reicht die Bandbreite bei weitem nicht. Wir sitzen hier fest. Euer Papa wird sich verspäten. Fragt Mama. Ich umarme euch. Nur für Mama: Wir müssen hier abschalten. Der Antrieb ist auch verstrahlt. Anne sagt, das passiert oft bei Konverterunfällen. Die Strahlung stört den Reaktor. Wir laufen schon auf Reserve. Jeeves, SuSI und die anderen KIs sind schon aus. Auch unsere Mech-Hüllen sind stillgelegt. Nur die HICs (unsere Human Infomorph Cores) laufen noch. Wir sind schon im VR-Habitat. Wir gehen jetzt in den Winterschlaf. Nur ein Automat für den Annäherungssensor bleibt an. Wir werden nichts merken. Die Zeit vergeht wie im Flug. Für uns. Tut mir leid. Ich küsse dich. ENDE. --- --- Schiffslog, 37 Jahre nach der Havarie --- Gahara Sthaan IX, 999 AU von Sol, 2427: ...T15:33:21.042 Passive Radar: Signal: Quelle: Entfernung 1,3e7 km ...T15:33:22.314 Controller: Sende Kennung via: KomLaser ...T15:33:22.316 Controller: Aktiviere HIC: Kapitän: Rashid Agarwal ...T15:34:59.271 KomLaser: Nachricht empfangen: "Wir haben Euch." --- |
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