2501 Frühe extraplanetare Forschungsmissionen

In unserem Bereich der Milchstraße ist viel Platz zwischen den Sternen. Der interstellare Raum ist tausend Milliarden Mal so groß wie das Sonnensystem. Und er ist nicht leer. Außerhalb der Bahnen regulärer Planeten gibt es weitere Kleinplaneten und den Kuiper-Gürtel. Noch weiter draußen im extraplanetaren Raum sind die Oortsche Wolke und die Baqannoo-Sphäre. Es gibt dort Irrläufer-Objekte, Asteroiden, Planeten, braune Zwerge, Pulsare, Uraniden, Häufungen dunkler Materie und andere exotische Dinge, sogar technische Installationen, wie man viel später herausfindet. Es gibt viel zu entdecken und zu erforschen. Aber die Entfernungen sind gewaltig. Die meisten Objekte sind zu weit weg für Rückstoßtriebwerke.

Mitte des dritten Jahrtausends hat sich der Raumschiffantrieb nach dem Raumkrümmer-Prinzip etabliert. Anfangs wurde er nur für Expressfrachten auf den Diagonalstrecken benutzt, mit effektiven Geschwindigkeiten, die weit unter der Lichtgeschwindigkeit lagen. Heute kommen uns diese ersten Raumkrümmer vor wie der Flug der ersten Doppeldecker-Flugzeuge. Die Schiffe waren damals noch mit einem Tausendstel der Lichtgeschwindigkeit unterwegs. Sie waren sehr klobig, teuer und unzuverlässig. Das ist 120 Jahre her. Seitdem hat sich viel getan. Frachter sind mit 2% c inzwischen 20-mal schneller. Die Antriebe sind zuverlässig und sie laufen bei dieser Geschwindigkeit auch im Dauerbetrieb.

Theoretisch fliegt man heute sogar (effektiv) viermal so schnell wie das Licht. Damit kommt man weit in die Oortsche Wolke. Aber diese Technologie ist an der Grenze des Machbaren. Sie ist noch nicht für Dauerlast geeignet und kann deshalb nicht auf langen Strecken eingesetzt werden, jedenfalls nicht ohne Risiko.

Seit es Raumkrümmer gibt, haben astrophysikalische Forschungsexpeditionen die Grenzen der Antriebe ausgetestet. Die Wissenschaftler finden weit draußen immer wieder neue interessante Ziele. Und um dort hinzukommen, gehen sie an die Grenze der technischen Möglichkeiten. Astrophysikalische Expeditionen sind auch oft gleichzeitig Belastungstests für die nächste Antriebsgeneration.

Viele Organisationen sind aktiv in Astronomie und Astrophysik. Mit interplanetaren Instrumenten kann man heute sehr weit und sehr genau sehen. Und Raumkrümmer bieten nun die Möglichkeit, die astronomischen Entdeckungen in der näheren interstellaren Umgebung der Sonne, dem extraplanetaren Raum, zu besuchen. Es gibt im Lauf der Zeit viele Flüge zu extraplanetaren Zielen. Es gibt wissenschaftliche Expeditionen, geheime militärische Missionen, private Unternehmen und auch spektakuläre Fehlschläge.

Mit den neuesten Triebwerken immer weiter hinauszufliegen in den interstellaren Raum zwischen den Sternen gehört zu den letzten großen Abenteuern. Hat man ein technisches Problem und geht der Antrieb kaputt, dann kann man im Nichts stranden, Lichtwochen oder Lichtmonate von Hilfe entfernt. Sogar die Nachricht von der Havarie braucht dann Monate bis nach Hause. Schnelle Rettung ist unwahrscheinlich. Man kann nicht mal eben ein Schiff in ein paar Kubik-Lichtmonaten aufspüren. Sogar das Peilsignal ist wochenlang unterwegs. Und es gibt sowieso nicht viele Schiffe, die verfügbar und leistungsfähig genug sind für eine Rettungsmission.

Hier einige bemerkenswerte Expeditionen in den ersten 100 Jahren extraplanetarer Reisen:

- Pontos (anfangs der neunte Planet genannt), das sogenannte Eiswunder. Pontos ist ein Eisplanet. Er wurde vor hunderten Millionen Jahren von einem marsgroßen Körper getroffen. Die kinetische Energie verflüssigte den gesamten Planeten und für einige Millionen Jahre sorgte der langsam abkühlende Kern dafür, dass seine 1000 Kilometer dicke Ammoniak-Wassereis-Hülle eine Zeit der Tektonik und des Wetters erlebte. Inzwischen ist alles wieder erstarrt zu einer faszinierenden Eislandschaft.

Eine Expedition besucht Pontos 2390. Sie entdeckt die Eislandschaften. Auf dem Rückweg gibt es ein Problem mit dem Antrieb. 1000 AU vom inneren System entfernt strandet das Schiff mit seiner Mech-Besatzung im leeren Raum. Die Infomorphe werden erst 37 Jahre später durch eine Rettungsmission evakuiert.

Trivia: Pontos wurde benannt nach einem alten griechischen Meeresgott. Man wählte absichtlich einen Namen mit "P", um Pluto in Abzählreimen zu ersetzen.

- Tyche, ein brauner Zwerg in 1,1 Lichtjahren Entfernung von der Sonne (=80.000 AU). Er ist gravitativ an unsere Sonne gebunden, auf einer sehr weiten Umlaufbahn. Tyche hat 15 Jupitermassen. Er ist ein sehr kleiner und kalter brauner Zwerg. Seine mittlere Oberflächentemperatur ist -20 Grad Celsius. 2493 wurde er erstmals besucht. Tyche hat vier Trabanten (Monde oder Planeten, je nach Sichtweise) von denen einige wieder eigene Satelliten haben. Auf einem Mond von Tyche A gibt es im späten 27. Jahrhundert eine permanente Forschungsstation. Die Wissenschaftler studieren die Möglichkeit von nativem Leben auf Tyche an einigen heißen Quellen mit flüssigem Wasser.

Trivia: der Name Tyche bezeichnete ursprünglich einen hypothetischen Planeten in der Oortschen Wolke, der durch seinen Gravitationseinfluss Kometen mit langer Periode produziert. Eine statistische Analyse der Bahnparameter führte im 20. Jahrhundert zur Tyche-Theorie. Die Theorie wurde nach einer Durchmusterung mit Infrarot-Teleskopen im 21. Jahrhundert verworfen. Der heute Tyche genannte Himmelskörper ist viel weiter entfernt als der hypothetische Tyche des 20. Jahrhunderts. Auch er stört Bahnen in der Oortschen Wolke und löst Kometen aus, aber ohne die statistische Auffälligkeit. Diese stellt sich später als Oszillation in der Oortschen Wolke selbst heraus. Tyche entspricht auch nicht dem früher vermuteten periodischen Oort-Störer, der das Dinosauriersterben verursacht haben soll.

- Bis in eine Entfernung von zwei Lichtjahren gibt es mehrere planetenartige Himmelskörper. Bei den meisten handelt es sich um eingefangene Irrläufer-Planeten mit weiten elliptischen Umlaufbahnen. Die Irrläufer entstanden vor langer Zeit bei anderen Sonnen und wurden durch verschiedene Effekte aus ihrem System katapultiert. Die Größe reicht von kleinen Merkur-großen Gesteinsplaneten über gefrorene Gasriesen bis zu braunen Zwergen. Sie bilden zusammen die sogenannte Baqannoo-Sphäre (nach Iddo Baqannoo). Pontos und Tyche sind die bekanntesten Vertreter der Baqannoo-Sphäre.

Inzwischen sind über 300 Objekte bekannt. Abgesehen von Pontos und Tyche wurden in den ersten Jahren der extraplanetaren Erkundung nur drei der Objekte besucht. Eine vierte Expedition ist verschollen. Es gibt keine Hinweise auf den Verbleib. Der Kontakt brach auf dem Hinflug in einer Entfernung von 4000 AU plötzlich ab.

Trivia: Spätestens mit dem Nachweis des vierten Baqannoo-Objekts wurde die Stellung von Pontos als neunter Planet in Frage gestellt. Als im Lauf der Zeit immer mehr semi-gebundene interstellare planetenartige Objekte entdeckt wurden und die Baqannoo-Sphäre Gestalt annahm, wurde Pontos von der Internationalen Astronomischen Union als Semiplanet klassifiziert und verlor damit seinen Status als neunter Planet des Sonnensystems.

- ein alter Pulsar in 1,5 Lichtjahren Entfernung, Katalogbezeichnung XA-2314c-M. Die Rotationsperiode des Pulsars beträgt 4,2 Sekunden. Der Strahl-Konus ist nicht in das innere Sonnensystem gerichtet. Deshalb wurde er sehr spät entdeckt. Das erste beobachtete Signal war eine Reflexion an einem anderen Baqannoo-Sphären Objekt. Erstmals besucht 2443 durch Starprobe: ein Vorbeiflug von Nanosonden mit 30.000 km/s. Der erste dauerhafte Besuch war die Expedition der Kublai-Khan im Jahr 2498.

- Uraniden, Kometenkerne der Oortschen Wolke mit einem ungewöhnlich hohen Urananteil. Die Zerfallswärme des Urans sorgt für flüssiges Wasser im Inneren des Kometenkerns. Das Wasser moderiert die Neutronen der Uran-Spaltung und hält so einen natürlichen Atomreaktor am Leben. Entdeckt wurden Uraniden im Jahr 2373 durch eine Explosion als ein Kern überkritisch wurde und mit einer natürlichen fünf Kilotonnen Explosion auf sich aufmerksam machte. Die Explosion wurde von Gammadetektoren im System registriert. Daraufhin konnte man die zugehörigen optischen, Infrarot- und Neutrinosignale in permanent laufenden Experimenten finden und über Triangulation die Position bestimmen.

Es gibt mehrere Uraniden. Der nächste ist 2.800 AU entfernt. Die Uraniden entstanden, als eine Supernova schwere Elemente auf einem ihrer Eisriesen deponierte. Der Planet brach dabei auseinander und die Trümmer verteilten sich im interstellaren Raum. Einige Millionen Jahre später wurden manche dann von unserer Sonne eingefangen.

Bei einer Expedition zu BA-2421j-U im Jahr 2477 werden Proben genommen. Dank der vielen Proben und der großen Menge verschiedener Isotope und Zerfallsketten kann man den Zeitpunkt der Supernova-Explosion auf zehn Stellen genau bestimmen. Die Supernova fand statt im Jahr 8.131.606 vor unserer Zeitrechnung (v.u.Z.) am 31. März um 13:29 h +/- 7 Minuten, also zwischen 13:22 h und 13:36 h GMT.

- ein besonders exotisches extraplanetares Objekt ist die Shen-Senke in 22.000 AU Entfernung. Sie ist benannt nach ihrem Entdecker, dem Astronomen Shen Li. Die Senke ist eine Häufung ultrakalter dunkler Materie. Sie wurde im Jahr 2289 entdeckt durch ein zufälliges Gravitationslinsen-Ereignis. Die dunkle Materie macht sich nur gravitativ bemerkbar. Sie entspricht der Masse Neptuns und hat eine Ausdehnung von drei Millionen Kilometern.

Dunkle Materie sollte eigentlich nicht so kompakt auftreten, da die Konstituenten dunkler Materie nicht miteinander wechselwirken. Mangels inelastischer Stöße gibt es keine bremsenden oder klumpenden Effekte. Die Masse der Shen-Senke muss durch einen unbekannten Effekt abgebremst worden sein. Ihre Konstituenten haben sehr geringe Relativgeschwindigkeiten und befinden sich nun quasi frei auf benachbarten Trajektorien um unsere Sonne.

Das Ultrateleskop BISON erkennt 2413 mehrere Satelliten, eingefangene Oort-Objekte und einen Asteroiden, der innerhalb der Senke kurioserweise fast linear durch das kräftefreie Zentrum oszilliert. Im Jahr 2484 wird die Shen-Senke von zwei konkurrierenden Expeditionen besucht und genau vermessen. Eine Expedition namens Tsegaye-Gubennya-13 vom Astrophysikalischen Institut des Jupiter-Orbitals Mek’ele und Scott-Gravity-Research-A des Habitats Isle of Sol auf der Venus. Die Terra Nova, das Schiff von Scott-Gravity, erreicht die Shen-Senke wenige Wochen nach Tsegaye-Gubennya.

Auf dem Rückflug trifft die Terra Nova auf eine weitere unbekannte Gravitationssenke, heute bekannt als Terra Nova Riff. Die bis dahin unbekannte Gravitationsanomalie ist kompakter als die Shen-Senke mit weniger Masse und Ausdehnung. Heute wissen wir, dass sie, wie mehrere andere kleinere Senken, die Shen-Senke umkreist. Die Terra Nova läuft mit voller Reisegeschwindigkeit und ohne Vorwarnung in die Senke. Die fraktalen Raumverzerrungen des Antriebs lösen eine heftige Reaktion in den Konstituenten der Senke aus. Diese bestehen zwar nicht aus baryonischer Materie, aber sie reagieren auf die gravitativen Raumverzerrungen des Antriebs. Die Explosion der Terra Nova ist mit solaren Großteleskopen gut zu sehen.

Seit der Terra Nova Katastrophe vermutet man, dass es noch viele weitere Häufungen dunkler Materie im extraplanetaren Raum gibt. Gravitationssenken sind aber schwer zu entdecken. Sie sind letztlich nur leerer Raum mit einem flachen Gravitationspotential.