2321 Isolation der Erde

Mitbürgerinnen und Mitbürger der Erde,

vor vierzig Jahren haben wir aufgehört, die Weltraumentwicklung zu finanzieren, um uns auf die Heilung unseres Planeten zu konzentrieren. Doch unser Planet ist immer noch krank. Umweltzerstörung, Ressourcenknappheit und Ungleichheit bestehen weiterhin.

Deshalb müssen wir jetzt den nächsten Schritt machen. Ab heute werden wir keine Ressourcenverschwendung mehr tolerieren. Träume vom Weltraum haben sich als Illusion erwiesen und uns von unserer wichtigsten Aufgabe auf der Erde abgelenkt. Der Weltraum wird unseren Planeten nicht retten. Gaia selbst bietet alles, was die Menschheit braucht.

Wir werden strenge Grenzen für alle kommerziellen und industriellen Aktivitäten einführen, damit sie im Einklang mit Gaia stehen. Wir werden Technologien vorantreiben, um Lösungen zu entwickeln, die Gaia retten. Und wir werden unsere Entschlossenheit zeigen, Mutter Erde zu schützen.

Um unseren Planeten zu schützen, werden wir die Raumstreitkräfte der Union verstärken. Wir müssen sicherstellen, dass die rücksichtslose und verschwenderische Spacer-Wirtschaft unsere Mission nicht gefährden kann.

Bürgerinnen und Bürger der Erde, dies ist eine Zeit für unerschütterliche Entschlossenheit und höchsten Einsatz. Gemeinsam werden wir unseren Planeten retten und eine nachhaltige Zukunft für kommende Generationen sichern. Gaia ist unser Zuhause und wir werden sie mit aller Macht verteidigen.

Lea Perres, Sprecherin des Gaia-Sanierungskomittees, Virtuelle Halle der planetaren Vollversammlung, 2321.

Die Erde wendet sich einer extremen Form des Neo-Sozialismus zu. Sie setzt damit den Weg fort, der mit der Großen Trennung von 2284 begonnen wurde, als die Erde entschied, die interplanetare Entwicklung nicht mehr zu subventionieren. Nun isoliert sich die Erdunion vollständig von allen Weltraumaktivitäten. Gleichzeitig werden strenge Vorschriften für terrestrische Aktivitäten erlassen, um die Erholung des Planeten zu gewährleisten.

In früheren Jahrhunderten ging man davon aus, dass Rohstoffe von den Asteroiden und eine Industrie im Orbital die Probleme der Erde lösen würden. Das neue Dogma ist jedoch das genaue Gegenteil: Der Weltraum wird jetzt nur noch als Belastung für die Ressourcen der Erde angesehen, während viele davon überzeugt sind, dass Gaia schon alles bietet, was die Menschheit jemals braucht.

Hier ist eine Auswahl von Themenbereichen, die durch die neue Politik vorangetrieben werden:

  • Zurück zur Erde: Fast alle Aktivitäten jenseits der Erdatmosphäre werden eingestellt. Orbitalfabriken und viele weltraumbasierte Infrastrukturen werden aufgegeben, nur LEO-Satellitenkonstellationen zur Erdbeobachtung bleiben in Betrieb. Der Sonne-Erde Lagrange-Punkt 1, Standort der alten Sonnenschilde, wird zum Territorium der Erde erklärt. Dieser territoriale Anspruch soll sicherstellen, dass die Sonnenschilde für die Wettermodifikation benutzt werden können, um extreme Klimaereignisse zu mildern.
  • Vakuumröhren: Der interkontinentale Flugverkehr wird streng reguliert und auf Notfälle beschränkt. Stattdessen werden moderne Tunnelbautechniken genutzt, um ein globales Netzwerk von Hochgeschwindigkeits-Untergrundtransporten zu konstruieren. Bohrköpfe mit Clustern von massive-parallelen ultra-schnellen Thermozyklus-Mikrosonden zersetzen Gestein in einem beschleunigten Erosionsprozess, der fast Fußgängergeschwindigkeit erreicht. Innerhalb von zwei Jahrzehnten verbinden Vakuumröhren-Maglevs jeden wichtigen Punkt auf der Erde. Das Vakuum-Maglev-Netz ist eine nachhaltige und effiziente Alternative zum Luftverkehr.
  • Symbioponik: Die Nahrungsmittelproduktion wird radikal verändert. Die letzten Betriebe, die vor allem im Luxussegment verschwenderischen Bodenanbau betreiben, werden eingestellt. Alle Farmen müssen auf Symbioponik umstellen, ein System, in dem optimierte Pflanzen und gentechnisch veränderte Mikroorganismen symbiotisch zusammenarbeiten. Diese gentechnisch konstruierten symbiotischen Mikroben arbeiten wie biologische Naniten. Sie ersetzen das traditionelle Bioponik-Substrat, das selbst wiederum die Hydroponik abgelöst hatte. Die Bionaniten speichern und liefern Wasser, optimieren die Nährstoffzufuhr und schützen ihre Pflanzen vor Krankheiten. Hochentwickelte Biofilmtechnik unterstützt die symbiotischen Beziehungen. Alle Pflanzen werden außerdem von Crop-Bots überwacht, die sich um die individuellen Bedürfnisse jeder einzelnen Pflanze kümmern, um die maximale Effizienz zu gewährleisten.
  • Voller Zyklus: Die Anstrengungen für eine nachhaltige Rohstoffgewinnung werden verstärkt. Die Fähigkeit zur Wiederaufbereitung muss bei allen Geräten und Gebäuden eingeplant werden, damit vollständiges Recycling möglich wird. Dafür werden alle Endprodukte registriert und ihr Verbleib verfolgt. Traditionelle Rohstoffgewinnung vom Meeresboden und aus dem Meerwasser wird eingestellt. Stattdessen werden alte Müllhalden von Milliarden kleinen Robotern durchwühlt. Sie kratzen sorgfältig jedes kleine Stück Aluminiumfolie von beschichteten Kunststoffen ab und bearbeiten genauso gewissenhaft Millionen anderer Materialkombinationen. Diese Art der Rohstoffgewinnung ist zwar viel teurer als der Abbau neuer Vorkommen, aber sie ist viel nachhaltiger.
  • Zweites Siliziumzeitalter: Kohlebergbau und Kavitationsfracking werden verboten. Während der Energiebedarf seit Jahrhunderten durch billige pB11-Fusionsreaktoren gedeckt wird, wurden Kohlenwasserstoffe weiterhin für die Herstellung von Verbundwerkstoffen verwendet. Die Produktion von Kunststoffen und anderen Materialkombinationen wird nun streng reguliert. Eine Positivliste lässt nur umweltfreundliche Produkte und Nebenprodukte zu. Verschiedene Siliziumkomplexe mit einer breiten Palette von Materialeigenschaften ersetzen Kunststoffe und Silica-Aerogele ersetzen Kohlenstoffpolymere.
  • Wetter: Klimaextreme werden mit Wettermodifikationstechniken entschärft. Dazu gehören ferngesteuerter Smart-Dust aus Metamaterialien, induzierte Verdampfung aus dem Orbit und Nanofeinstaub-Wolkenimpfung mit günstigen elektromagnetischen Katapulten am Boden. Die L1-Sonnenschilde werden für die lokale Klimakontrolle eingesetzt, um extreme Wetterereignisse zu verhindern. Dabei werden individuelle Opfer in Kauf genommen, wenn schwere Wetterereignisse durch groß angelegte Klimamanipulation verhindert werden können. Diese Maßnahmen werden als unvermeidlich angesehen, um auf einem ökologisch fragilen Planeten bewohnbare Bedingungen zu erhalten.
  • Gen-Wiederherstellung: Die Biodiversität hat dramatisch abgenommen und dadurch hat sich die Widerstandsfähigkeit der Biotope deutlich reduziert. Mit hochentwickelter synthetischer Biologie und Epigenetik-Engineering, unterstützt durch Biobanken und Holobiom-Rekonstruktion, werden verlorene Arten wieder eingeführt. Damit soll die genetische Vielfalt erhöht werden, um die Ökosysteme der Erde wiederherzustellen. Ausgestorbene Populationen werden durch Bio-Fabbing wiederbelebt. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um das 3D-Drucken ganzer Organismen im Fall von Mikroben und um die Ausreifung in künstlichen Brutzellen bei größeren Lebensformen.
  • Pandemien: Gesundheitsversorgung und Epidemieprävention sind schon lange auf hohem Niveau, vor allem durch die allgegenwärtige vernetzte Gesundheitsüberwachung. Veränderungen bei einzelnen Personen werden frühzeitig erkannt und bei statistischen Anomalien kann man schnell Alarm schlagen. Eine neue robuste Regelung ermöglicht es, Pandemien mit einer automatisierten Medikamentenentwicklungskette zu bekämpfen. Diese überspringt die klinische Testphase und probiert Impfstoffe in der Zielgruppe aus, überwacht durch Implantate und die allgegenwärtigen, lebensverlängernden Mikrosonden der Bevölkerung. Außerdem wird der Umgang mit Wildtieren und den wenigen verbleibenden Pharmtieren streng reguliert, um die Übertragung zwischen Arten zu minimieren.

Nach 300 Jahren gescheiterter Klimaschutzversuche mag ein so extremer Ansatz notwendig sein. Aber diese Strategie hat einen hohen Preis: nicht nur einen reduzierten Lebensstandard – der durch verbesserte Lebensbedingungen ausgeglichen wird, wenn der Plan erfolgreich ist – sondern auch eine Änderung der öffentlichen Meinung gegenüber dem Weltraum. Die neue Politik wird von jahrzehntelangen memetischen Kampagnen unterstützt, die als Nebeneffekt offene Feindseligkeit gegenüber der "verschwenderischen" expansionistischen interplanetaren Zivilisation fördern. Politiker und die Öffentlichkeit sehen den "Spacer"-Lebensstil als Bedrohung für die Erde an, für das Sanierungsprojekt und für Gaia selbst. Diese Wahrnehmung wird durch Kommentare von Erdnostalgikern im Weltraum verstärkt, die offen ihre Enttäuschung über die jüngsten Entwicklungen äußern. Insbesondere kritisieren sie die strikte Selbstisolation der Erde und die als "unmenschlich" bezeichneten Maßnahmen des Sanierungsprojekts. Einige Stimmen fordern sogar die Befreiung der Erde von der neosozialistischen Herrschaft.

Die Space Patrol wird aus Angst vor Übergriffen und zum Schutz des erdnahen Raums verstärkt und zu den Weltraumstreitkräften der Union umgebaut. An L1 stationiert die Union mehrere Raumüberlegenheitskreuzer mit Fusionspuls-Triebwerk und weitverteilte automatisierte Punktverteidigung. Damit sollen die wichtigen, aber empfindlichen Sonnenschilde vor der angenommenen Spacer-Bedrohung geschützt werden.

Gemäßigte Meinungen in der interplanetaren Öffentlichkeit argumentieren, dass diese offene Feindseligkeit gegenüber dem Weltraum und dem sogenannten "Spacer"-Lebensstil kein zufälliger Nebeneffekt der auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Indoktrination auf der Erde sind. Vielmehr – beobachten sie – schaffe die Union absichtlich einen äußeren Feind, um ihr Volk hinter der GAIA-Sanierung zu vereinen, auch dann, wenn das Projekt harte Maßnahmen und persönliche Opfer verlangt. Deshalb sollte die interplanetare Zivilisation einen kühlen Kopf bewahren und diese Feindseligkeiten, einschließlich der militärischen Aufrüstung von Union Space Command, als das behandeln, was sie wahrscheinlich sind, nämlich irdische Innenpolitik. Leider sind diese moderaten Stimmen in der Minderheit.

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