2205 Die Palladische Liga: Souveräne Konzern-Nationen im Sonnensystem

Das frühe 23. Jahrhundert bringt große Veränderungen in der politischen Landschaft des Sonnensystems: die Unabhägigkeit von souveränen Unternehmensnationen mit Territorialanspruch jenseits der Erde.

Der Aufstand in den lunaren Strafkolonien im Jahr 2197 ist immer noch eine eindringliche Mahnung wieviel Chaos und Zerstörung die Unabhängigkeitsbestrebungen von Siedlungen außerhalb der Erde auslösen können. Bei ihrer Revolte brachten die Häftlinge wichtige Einrichtungen unter ihre Kontrolle übernahmen, darunter Shuttles, Kommunikationssysteme und ein elektromagnetisches Katapult. Der Aufstand gipfelte in einer Unabhängigkeitserklärung und wurde dann trotz der Drohung mit Atomwaffen seitens der Rebellen, gewaltsam niedergeschlagen.

Diese Erinnerungen sind noch frisch als die Asteroidenbasis Vortex Prime im Asteroidengürtel im Jahr 2205 ihre Unabhängigkeit erklärt. Gestärkt durch die Lehren aus der vorangegangenen Rebellion sind die Regierungen der Erde entschlossen, ihre Vorherrschaft zu verteidigen. Sie entsenden die Space Patrol in den Asteroidengürtel. Das erweist sich wegen den großen Entfernungen aber als logistische Herausforderung. Im Vergleich zum Mond, der nur eine Lichtsekunde und einen Tag Reisezeit entfernt ist, ist der Weg zum Gürtel lang und zeitaufwändig.

Vortex Prime ist eine hochentwickelte Asteroidenbasis. Sie betreibt eine Vielzahl von mobilen Geräten, von unzähligen kleinen automatischen Analyse-Drohnen bis zu massiven industriellen Bergbauschiffen. Viele dieser Einheiten benutzen Sprengstoffe für Forschungs- und Bergbauzwecke. Sie reichen von kinetischen Impaktoren und chemischen Sprengsätzen bis hin zu Atomwaffen. Manche erzeugen kleine Detonationen, die Material für Spektralanalysen aus der Ferne aufzuwirbeln. Größere Ladungen werden für den Asteroidenabbau benutzt, um Rubble-Pile Asteroiden zu festen Schalen zu verschmelzen oder große Fragmente von Asteroiden abzusprengen. Aus Sicherheits- und Effizienzgründen werden solche Sprengungen meistens aus der Ferne ausgelöst. Zusammen mit den dafür eingesetzten Trägersystemen handelt es sich dabei im Grunde um eine einsatzbereite Sammlung von Raketen mit Atomsprengköpfen. Aufgrund der langen Reisezeit der Space Patrol hat Vortex Prime ausreichend Zeit, seine Kräfte zu verteilen. Das macht es der Space Patrol unmöglich, sie zu neutralisieren. Das daraus entstehende Patt, wird schließlich durch Verhandlungen gelöst.

Die friedliche Einigung trotz der Entschlossenheit der Erde, die Unabhängigkeitsbewegung zu unterdrücken, ist vor allem Callie Yuen zu verdanken. Yuen ist eine erfahrene Diplomatin und eine charismatische Führungspersönlichkeit. Sie geht oft persönliche Risiken ein, um Situationen zu entschärfen, bevor sie eskalieren können. Yuen ist davon überzeugt, dass unabhängige Raumstationen nur in einem friedlichen Umfeld gedeihen können, und dazu gehört ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen der Erde und denen der interplanetaren Außenposten.

Im Jahr 2208 erreicht Vortex Prime sein Ziel. Die Regierungen der Erde gewähren der Basis partielle Autonomie. Vortex erhält damit die Souveränität für alle Aktivitäten außerhalb der Marsbahn. Das Abkommen ist ein Wendepunkt. Es zeigt, wie sehr sich die Sicht der Erde auf die interplanetare Ökonomie geändert hat.

Aber das ist erst der Anfang: nur zwei Jahre später, erklären Ryugu Outpost und Helios One Solar Power ebenfalls ihre Unabhängigkeit. Sie folgen dem Beispiel von Vortex Prime. Beide Unternehmen haben eine wichtige Stellung in der interplanetaren Wirtschaft, indem sie konzentrierte Strahlen von Sonnenenergie durch das gesamte Sonnensystem schicken. Ihre riesigen Sonnenspiegel könnten verheerende Zerstörungen anrichten, sollten sie missbraucht werden. Das führt auch ohne Atomwaffen zu einer Pattsituation, die die Regierungen der Erde letztlich dazu bringt, die Unabhängigkeit anzuerkennen, statt einen offenen Konflikt zu riskieren.

Von 2212 an überschlagen sich die Ereignisse. Überraschend erklärt Vortex einen Bereich des Asteroidengürtels zum souveränen Territorium. Der Anspruch gilt für einen 5-Grad-Bogen um die Basis und 20 Millionen Kilometer innerhalb und außerhalb der Umlaufbahn. Senkrecht zur Ekliptik ist der Bereich nicht genau definiert, aber man geht davon aus, dass er alle Umlaufbahnen umfasst, die das durch Winkel und Entfernung beschriebene Ringsegment kreuzen.

Der Anspruch von Vortex Prime auf eine riesige exklusive Wirtschaftszone löst eine Welle von weiteren Unabhängigkeitserklärungen aus. Mehrere Raumstationen, Asteroidenbasen und interplanetare Unternehmen erklären sich zu selbständigen Nationen, um ihren Anspruch auf Teile des Asteroidengürtels oder andere ertragreiche Regionen geltend zu machen. Sie folgen dem Beispiel von Vortex Prime, um ihren Anteil an der schnell wachsenden interplanetaren Wirtschaft zu sichern.

Alle diese neuen Nationen haben tragfähige Geschäftsmodelle, die ihnen die wirtschaftliche Stärke für die Unabhängigkeit verleihen:

- Terra Nova Station ist ein wichtiger Akteur im interplanetaren Transportsektor. Die Materiestrom-Knoten von Terra Nova verbinden die wichtigsten solaren Orbits durch effiziente Routen. Sie sorgen dafür, dass Schiffe schnell das innere Sonnensystem durchqueren können.

- Serenity Haven betreibt eine große Flotte von Asteroiden-Bergbauschiffen. Serenity versorgt seine Kunden mit allen notwendigen Rohstoffen direkt aus dem Gürtel.

- Der Shangri-La Komplex ist die einzige staatlich betriebene Einheit, die so früh Unabhängigkeit beansprucht. Shangri-La wurde von der Indus Valley Föderation als Zentrum für technologische Innovation und Forschung gegründet. Das Zentrum entwickelt neue Technologien für die interplanetare Zivilisation und bringt diese dann in Zusammenarbeit mit den Anwendern zum Einsatz. Viele orbitale Hightech-Unternehmen sind auf Shangri-La's Dienste angewiesen.

- Das Kalpana Chawla Zentrum ist bekannt für biomedizinische Forschung, insbesondere 0G-Anpassungen mithilfe von Naniten-Therapie und synthetischer Biologie. Die Unabhängigkeitserklärung gilt nicht nur für den Hauptstandort, sondern auch für die lokalen Vertretungen und medizinischen Behandlungseinrichtungen, die im gesamten inneren Sonnensystem verstreut sind. Dadurch wird Kalpana Chawla zur ersten dezentralisierten Unternehmensnation.

- Avalon ist ein Netzwerk von Kommunikationsrelais und Datenservern. Avalon betreibt einen Großteil des interplanetaren Backbone-Netzwerks. Außerdem hat Avalon in seinen Datentresoren unzählige Geheimnisse politischer und wirtschaftlicher Akteure. Diese Ansammlung sensibler Informationen ist für Avalon ein gewaltfreies, aber starkes Verhandlungsargument.

- Curie-Da Vinci Technology ist ein Hersteller von Hightech-Weltraumausrüstung von Mikrodrohnen bis zu ganzen Habitaten. Die Produkte von Curie-Da Vinci sind für viele andere interplanetare Unternehmen von entscheidender Bedeutung.

- Polaris Pathway Transit ist der primäre Logistikdienstleister für viele Unternehmen und staatliche Forschungseinrichtungen, die im Gürtel aktiv sind. Unter anderem stellt Polaris Pathway einen Großteil der Ressourcen für den Bau des Ultra-Long Baseline Gravitationswellendetektors bereit.

- Jade Rabbit Matter Stream Co. und Stellar Silk Road bedienen jeweils etwa ein Achtel des Gürtels mit Echtzeit-Betankung durch Materieströme. Um ihre Segmente voll abzudecken und nicht nur die Hauptrouten, benutzen sie ein dynamisches Netz aus tausenden mobilen Materiestrom-Knoten.

- Crucible Shipbuilding baut interplanetare Schiffe. Das Firmenkonglomerat deckt die gesamte Wertschöpfungskette ab von Ressourcengewinnung und Aufbereitung, über Meta-Material-Fertigung und Komponentenherstellung bis zum Bau von Schiffen und Stationsmodulen.

Diese Raumstationen, Asteroidenbasen und Firmenkonglomerate spielen eine wichtige Rolle in der orbitalen Wirtschaft. Obwohl sie rechtlich gesehen unter der Jurisdiktion verschiedener Erdnationen stehen, werden sie von ihren Eigentümern und Betreibern selbst verwaltet. Für die innere Sicherheit sorgen eigene Abteilungen oder externe Dienstleister.

Die Regierungen der Erde setzen dieser Welle von Unabhängigkeitserklärungen keinen Widerstand entgegen. Für alle großen Nationen ist der Weltraum von strategischer Bedeutung und die meisten sind bei ihren Weltraumoperationen auf die Dienstleistungen dieser Unternehmen angewiesen. Hilfreich ist dabei auch, dass viele der Weltraumunternehmen, die jetzt ihre Unabhängigkeit erklären, Tochterfirmen und Beteiligungen von Firmenkonglomeraten auf der Erde sind. Diese globalen Unternehmen haben großen Einfluss auf die Regierungen der Erde und jetzt nutzen sie ihre Verbindungen in die irdische Politik, um ihre Claims im Raum abzustecken.

Auf der Erde ist ein Großteil der Ozeane unter den Nationen und Völkern aufgeteilt und in den offenen Meeren bauen Unternehmen und Privatleute schon lange staatenlose künstliche Inseln. Aber im Raum sehen globale Konzerne jetzt die Chance ihre Claims abzustecken. Manche sehen sich auch einfach nur gezwungen zu handeln, bevor andere ihnen zuvorkommen.

Angesichts der Dominanz privater Unternehmen im Raum war die Entwicklung zu souveränen Unternehmensnationen vielleicht unvermeidlich. Aber wahrscheinlich wäre es nicht so schnell gegangen ohne die weitsichtige Planung von Alexander "Apollo" Ivanov, dem Chef von Helios One Solar Power.

Alexander Ivanov wurde im Jahr 2162 am Rand der Moskauer Strahlungszone geboren. Seine Familie war arm. Der Vater, ein Bot-Mechaniker, war früh gestorben und die Mutter musste als Reinigungsschwarm-Pusherin oft Doppelschichten machen, um mit den zwei Kindern über die Runden zu kommen. Alexanders Intellekt fiel in den Beurteilungen seines Auto-Tutors auf. Elysium Industries, ein führendes Telekommunikationsunternehmen finanzierte ihm deshalb kybernetische Edu-Upgrades und ein Stipendium für Individualunterricht an der renommierten Universität Landskrona.

Nach seinem Studium, mit 14 Jahren und 2 Jahre früher als die meisten anderen, trat Alexander Elysium bei und stieg schnell zum Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung auf. Dort bekam er von Kollegen den Spitznamen "Apollo" wegen zahlreichen Durchbrüchen der Forschungsabteilung bei solarbetriebenen Kommunikationsdrohnenschwärmen. Aber Alexander Ivanov hatte eine größere Vision: er wollte das ganze Sonnensystem mit Sonnenenergie versorgen. Er überzeugte den Vorstand von Elysium, sich auf die Produktion von Solarenergie nahe der Sonne zu konzentrieren. Unter seiner Leitung wandelte sich der Kommunikationskonzern Elysium in Helios One Solar Power und revolutionierte die interplanetare Energieversorgung durch Solarspiegel, die Energie auch für weit entfernte Außenposten und energieintensive Industriezweige bereitstellen. Dieser Richtungswechsel war riskant, aber er zahlte sich aus. Die Nachfrage nach gebündelter Solarenergie stieg exponentiell an und Helios One wurde eines der führenden Unternehmen der interplanetaren Wirtschaft.

Im Jahr 2210 folgte Helios One Solar Power dem Vorbild von Vortex Prime und erklärte sich zur souveränen Nation. Aber obwohl Vortex Prime einen Präzedenzfall geschaffen hatte, gab es keine Garantie, dass die Staatengemeinschaft der Erde die Unabhängigkeit anerkennen würde, oder, dass nicht vielleicht doch ein Staat gewaltsam dagegen vorgehen würde. Deshalb hatte Ivanov schon vor Jahren mit anderen großen interplanetaren Dienstleistern ein Bündnis geschlossen, eine Liga freier Raumstationen, Asteroidenbasen und interplanetarer Infrastruktureinrichtungen. Der Gründungsort der Liga war Pallas, der Sitz von Vortex Prime.

Als Vortex Prime zwei Jahre später zusätzlich zur Souveränität den Territorialanspruch im Gürtel geltend machte, folgte Ivanovs Helios One kurz darauf mit dem Anspruch auf ein Kreissegment des sonnennahen Orbits. Diese zwei Territorialansprüche lösten die Unabhängigkeitswelle von 2212 aus. Viele wirtschaftlich selbständige Stationen wollten die Souveränität, um dann schnell ihren Claim abzustecken zu können. Während man Vortex Prime noch als Einzelfall betrachten konnte, wurde nach der Unabhängigkeit von Helios One und deren Anspruch auf einen Abschnitt einer inneren Sonnenbahn Allen im Solsystem klar, dass das Rennen um interplanetare Territorialansprüche begonnen hatte.

Tatsächlich hatte Alexander Ivanov von Helios One den gesamten Prozess von langer Hand geplant und orchestriert. Jeder Schritt war eine Eskalation des vorangegangenen, um den schmalen gewaltfreien Weg zu gehen von Raumstationen unter der Verwaltung verschiedener Nationen zu einem Sonnensystem aufgeteilt unter souveränen Konzernen, ohne, dass die Regierungen Erde sich dagegen wehren können.

Zum Beginn des 23. Jahrhunderts entsteht eine neue Ordnung im Sonnensystem: Ein Netzwerk von hochentwickelten, wirtschaftlich unabhängigen Basen und Raumstationen. Sie bilden das Rückgrat der interplanetaren Wirtschaft. Fast alle gehören zu globalen Gigakonzernen, die sich damit souveräne Rechte im Sonnensystem sichern und unabhängig von irdischen Regierungen werden.

Helios One ist buchstäblich – und im übertragenen Sinne – ein Leuchtturm im neuen System der interplanetaren Unternehmensnationen. Alexander "Apollo" Ivanov gilt als der Gründervater der Palladischen Liga, einer interplanetaren Allianz, die die Politik des Sonnensystems für ein Jahrhundert dominieren sollte. Callie Yuen, die Unterhändlerin von Vortex Prime, wird die erste Präsidentin der Palladischen Liga.